Spontan, kraftvoll und dynamisch zeigt sich die Handschrift von K.O. Götz und Michael Dekker. In der Ausstellung im KunstKabinett Tiefenthal treffen zwei abstrakte künstlerische Positionen aufeinander, die in ihrer generationenübergreifenden, faszinierenden Gegensätzlichkeit Bewegung in Fläche und Form sowie eine individuelle raumgreifende Gestik in den Mittelpunkt ihrer Aussage stellen.
Malerei von K.O. Götz und Skulpturen von Michael Dekker in Beziehung zu setzen, erscheint zunächst überraschend, ja gewagt. Eine etablierte, feste Größe innerhalb der Kunstgeschichte wird hier mit einem jungen, zukunftsorientierten Künstler in Verbindung gebracht. Umso anregender gestaltet sich dieser überaus reizvolle Dialog. Zum einen erscheinen Dekkers variantenreiche Formfindungen als „Raumzeichnungen“, ganz so als übertrage der Plastiker das malerische Prinzip von Götz in die dritte Dimension. Tatsächlich jedoch bewahren die Arbeiten von Michael Dekker eine unverkennbare Eigenständigkeit. Zum anderen vermag diese Begegnung gestische Abstraktion in Vergangenheit und Gegenwart auf kongeniale Art und Weise zu veranschaulichen. Der Aufbruch zu Neuem, den K.O. Götz als wichtiger Repräsentant der Nachkriegsavantgarde verkörpert, ist Grundlage und zugleich Ausgangspunkt für weitere Generationen. Das KunstKabinett beweist einmal mehr ein feines Gespür bei der Auswahl der Künstler und ihrer Werke und garantiert so ein außergewöhnliches Wahrnehmungserlebnis.
Die künstlerische Intention von K.O. Götz bringt Professor Karin Götz (Künstlername Rissa), die 1960 seine Schülerin wurde und die er 1965 geheiratet hatte, wie folgt auf den Punkt: „Seine Malerei ist ungegenständlich […]. Sie ist ohne konstruktives Motiv oder dessen Andeutung und hat nur ein Ziel: die variable Auflösung des klassischen Formprinzips. Es ist reine Malerei im Urzustand, flüssig und spontan, intelligent und expressiv.“ Richtet man seinen Blick auf das kraftvolle Blatt „SENZA TITOLO“, 1961, in Mischtechnik auf Karton ausgeführt, dann rauscht von rechts oben eine breite schwarze Farbfläche heran, die am Blattende ausläuft und als schmalere weiße Farbbahn mit verdichteten geschwungenen Formationen in entgegengesetzter Richtung endet. Ähnlich kraftvoll und formal erstaunlich nahe an dieser informellen Handschrift zeigt sich Michael Dekkers Skulptur „ACT“ von 2015.
Das Agieren im Raum per se und damit Handlung, verkörpert ein weiteres Werk. Die lackierte Bronzeskulptur „ACT“ aus dem Jahre 2015 beschreibt in ihrer offenen, abstrakten Form
Bewegung und Dynamik. Man mag sich beispielsweise an eine tänzerische Figur erinnert fühlen. „ACT“ bezeichnet auch einen Akt in einem Theaterstück. Weitere Assoziationen sind möglich und intendiert. Die rötlich-blau changierende Oberfläche unterstreicht in ihrer bewegten Rhythmik die Aussage. Dekkers Skulpturen stehen für Handlungs- bzw. Bewegungs(spiel)räume; sie sind der Inbegriff von Bewegungsfreiheit, von variablem, freiem künstlerischem Agieren.
Hervorzuheben ist an dieser Stelle die geistige Verwandtschaft mit K.O. Götz, der zu denjenigen Künstlern gehört, die Michael Dekker sehr schätzt. Die schnelle und unmittelbare, die bewusste und unbewusste, die spontane und durchdachte Bewegung wirken bei einer jeweils individuellen, freien Handschrift beider Künstler zusammen. Als Ergebnis offenbart sich eine eigenständige expressive Form findung in der Fläche und im Raum.
Zu Michael Dekkers Intentionen gehört es außerdem, durch Gegensätze und Kontraste, Irritationen hervorzurufen, Sehgewohnheiten zu brechen.
Mit dem Motto „Industrie-Kultur“ begibt sich der Kultursommer Rheinland-Pfalz 2018 auf die Spurensuche nach den kulturellen Veränderungen der letzten 200 Jahre und spinnt damit den Faden nach unserer Herkunft, dem Entstehen und der Wandlung unserer Identitäten weiter.
In erster Linie sind es die Sinne, mit denen wir uns die Welt erschließen. Dabei wird jedoch schnell deutlich, was Karl Marx schon 1844 festgestellt hat, dass die menschlichen Sinne nicht ausschließlich natürlich sind, sondern dass sie sich entwickelt haben und geschult werden können: „Die Bildung der 5 Sinne ist eine Arbeit der ganzen bisherigen Weltgeschichte“, so resümiert Marx in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten.
An der (Aus)Bildung dieser 5 Sinne, insbesondere des Sehsinns, aber auch des Geschmacks- und des Hörsinns, hat der Künstler und Galerist Wolfgang Thomeczek einen spezifischen Anteil, seit er 2008 das
Kunst KabinettImTurm und in dessen Nachfolge das KunstKabinett Tiefenthal als Ausstellungsort etabliert hat. Wolfgang Thomeczeks Anspruch und außer gewöhn lichem Engagement ist es zu verdanken, dass wir unsere Sinne an Werken ausgezeichneter Künstler und Künstlerinnen wie Franz Bernhard, Emil Cimiotti, Karl Otto Götz oder Jacqueline Diffring, Barbara Klemm, Anka Kröhnke, Robert Schad schärfen konnten.
Auch in diesem Jahr unterstützt Wolfgang Thomeczek den Kultursommer mit einem ausgefallenen Projekt. Es ist ihm gelungen, mit K.O. Götz und Michael Dekker, Chris Jarrett und Erwin Ditzner vier mit Rheinland-Pfalz verbundene großartige Künstler und ihre Werke zu einem Dialog zusammenzubringen, der vom Kultursommer Rheinland-Pfalz gefördert wird. Auf das Ergebnis dürfen wir gespannt sein. Allein über K.O. Götz, Jg. 1914 – einer der Hauptvertreter der informellen Malerei, ja einer der bedeutendsten bildenden Künstler in Deutschland überhaupt und Verfasser eines umfassenden kunsthistorischen und kunstpsychologischen Werkes – der 2017 verstarb in seiner rheinland-pfälzischen Wahlheimat, ließe sich eine unglaubliche Lebensge schichte schreiben, in denen die wichtigsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts eine Rolle spielen. Seine Kunstwerke mit denen des jungen auf strebenden Bildhauers Michael Dekker zusammen zuführen, mag überraschen und irritieren, aber das ist gewollt; es eröffnet uns neue Perspektiven und erweitert unseren Horizont.
Wolfgang Thomeczek danke ich für die Realisation dieses außergewöhnlichen Projektes an diesem wunderbaren Ort, dem ich viele begeisterte Besucherinnen und Besucher wünsche.
Prof. Dr. Konrad Wolf
Minister für Wissenschaft,
Weiterbildung und Kultur